Menschwerdung - anlässlich der Kaspar Hauser Festspiele Ansbach 2024
Pressebild
Werner Nowka: „Genesis“ das Objekt, Steinzeug, Holz, Acryl
Kaspar Hauser und der Begriff der Menschwerdung
Von Eckart Böhmer (Intendant der Kaspar Hauser Festspiele)
Seit dem Bestehen der Kaspar-Hauser-Festspiele im Jahre 1998 gibt es immer wieder Kunstausstellungen, die im Kunsthaus R3 in Ansbach stattfinden, um bildenden KünstlerInnen regional und überregional die Möglichkeit zu geben, sich zu Kaspar Hauser und den mit ihm einhergehenden Themen zu positionieren.
Bisherige Ausstellungsthemen waren beispielsweise: „Kaspar Hauser und die Wahrnehmung“, „Kaspar Hauser und das Pferd“, „200 Jahre Kaspar Hauser“, „Wo wären wir hingekommen, wenn wir intelligent gewesen wären“ (Joseph Beuys).
In diesem Jahr nun fällt die Wahl auf das gewichtige Thema der „Menschwerdung“, wofür das „Kind Europas“, wie Kaspar Hauser schon zu Lebzeiten genannt wurde, in vielerlei Hinsicht exemplarisch steht. Denn als er zu Pfingsten 1828 in Nürnberg in die Welt trat, wurde er sowohl gesehen als ein halbwilder Tiermensch, als auch als ein engelhaftes Wesen, nicht ganz von dieser Welt! Durch seine daraufhin erfolgende, rasante Sozialisation, durch die er beispielsweise als ein pädagogisches Phänomen gesehen wurde, verlor er jedoch auch, von beiden Seiten her, Maßgebliches.
Und so ist es nur verständlich, dass Jakob Wassermann bezüglich seines berühmten Kaspar-Hauser-Romans („Kaspar Hauser oder die Trägheit des Herzens“) aus dem Jahre 1908 sagt, dieser sei „die Darstellung einer Menschwerdung.“ Denn wie in „Zeitraffer“ konnte man an dem Findling, binnen einiger weniger Monate, Jahrtausende der Menschheitsentwicklung gleichsam ablesen!
Der Begriff der „Menschwerdung“ aber ruft durchaus wichtige und auch schwierige Fragen auf, denn Entwicklung muss ja offenkundig nicht zwangsläufig nur mit Fortschritt einhergehen, Fortschritt nicht zwangsläufig nur mit Entwicklung? Verlernt der Mensch nicht durchaus auch Vieles, durch all das, was er lernt? Muss dem so sein?
Kaspar Hauser liebte durchaus das Leben unter den Menschen, litt aber andererseits auch so sehr an den Eigentümlichkeiten der Gesellschaft, dass er sich tatsächlich in seinen Kerker zurücksehnte, aus dem er ausgesetzt worden war!
Was für ein Armutszeugnis, so könnte man sagen, für unsere Gesellschaft! Und es war gerade die Zeit Kaspar Hausers, das anfängliche 19. Jahrhundert, indem der Mensch sich immer mehr dem Entwicklungsgedanken widmete. Und trotz guter und schöner Errungenschaften, die seitdem geschahen, droht er doch nun, so scheint es zumindest, immer weiter auch in Sackgassen geraten zu können! Und daher sucht man heute bereits, vor allem anhand technischer Hilfsmittel, nach zukunftsfähigen Wegen, um den Menschen weiterzuführen. Oder ihn gar zu „überwinden“ und hinter sich zu lassen?
Denn der Weg des sogenannten „Transhumanismus“ strebt wohl letzten Endes genau dies an! Solch eine Entwicklung wäre aber keine Errungenschaft mehr des Menschen im eigentlichen Sinne des Wortes, wie es dies über viele und lange Jahrtausende der Fall war, sondern gliche dann eher nur noch einer Art „Leihgabe“, die vorrangig nur noch von „Außen“, nicht mehr von „Innen“ her, geschähe. Fiele diese dann, durch welche Gründe auch immer, plötzlich weg, so würde der Mensch um lange Zeitenläufe wie zurückkatapultiert werden. Sein Leben gliche dann aber eher, auf erstaunliche Weise, dem des Kaspars im Kerker, das da ist ein Synonym für das „lebendig begraben sein“. Diese Gefahr nimmt er wie zeichenhaft vorweg!
Mit dieser Kunst-Ausstellung soll ein Impuls gesetzt werden, gerade über den Weg des künstlerisch Schöpferischen, Perspektiven bezüglich der weiteren Menschwerdung unter positiven wie auch kritischen Aspekten und Aussichten anzudenken und aufzuzeigen.
Wir freuen uns über die zahlreichen Teilnehmer zu dieser Ausstellung und dies in der Stadt, in der er lebte und starb (1831-1833), und die zu Recht als die Kaspar Hauser Stadt an sich bezeichnet werden darf.
So sind auch die Kaspar Hauser-Festspiele die weltweit größte und gewichtigste Veranstaltung zu dem „Kind Europas“, was sich auch an der großen Anzahl überregionalen Publikums zeigt.
Seien Sie herzlich gegrüßt,
Ihr Eckart Böhmer